Implantatprothetik (Teil 3) – Angulierte Schraubenkanäle für die okklusale Verschraubung

In der Implantatprothetik können okklusal verschraubte Restaurationen funktional und ästhetisch an Grenzen stoßen, zum Beispiel wenn Öffnungen von Schraubenkanälen in bukkalen Flächen oder zwischen den Zähnen liegen. Bei zahnlosen festsitzenden Implantatversorgungen können Öffnungen von Schraubenkanälen auch in Bereichen der rekonstruierten Gingiva auftreten.

Andreas Kunz, Dr. Insa Herklotz

In den Teilen 1 und 2 der Artikelserie zur Implantatprothetik haben wir ausführlich über die Entscheidungsfaktoren von verschraubten und zementierten implantatgetragenen festsitzenden Rekonstruktionen berichtet. Eine Kernaussage bezog sich bei okklusal verschraubten Versorgungen auf eine ideal positionierte Implantatachse, um die Austrittsstelle der Okklusalschraube in der Zahnoberfläche optimal zu gestalten. Die optimale Position der Schrauben-Austrittsstelle liegt bei Seitenzähnen im Zahn-Zentrum und bei Frontzähnen im palatinalen Bereich (Abb. 1). Die Angulation des Schraubenkanals – unabhängig von der Implantatachse – ermöglicht neue Varianten der verschraubten Versorgungen (Abb. 2). Abgewinkelte Schraubenkanäle bieten flexible Behandlungsoptionen für bestmögliche ästhetische und funktionale Ergebnisse.

Abb.1: Okklusale Öffnungen von Implantatschrauben sollten nicht in funktional und ästhetisch relevanten Bereichen liegen. Zur Vermeidung von Frakturen der Keramik, ist es wichtig, um den Schraubenkanal herum ausreichend Materialstärke zu gewährleisten.

Abb. 2: Durch eine Winkelveränderung (Winkelknick) zwischen Implantatachse und Schraubenkanal können angulierte Schraubenkanäle (engl.= Angulated Screw Channel, ASC) erzeugt werden.

Angulierte Schraubenkanäle sind nicht zu verwechseln mit angulierten /abgewinkelten Abutments. Hier können unterschiedliche Bezeichnungen von Systemkomponenten einzelner Implantatsystem-Anbieter oftmals verwirrend sein. Angulierte oder abgewinkelte Abutments besitzen einen abgewinkelten Anteil. Der Schraubenkanal ist im gleichen Winkel mit der Implantatachse. Eine weitere Variante sind abgewinkelte Brücken oder Stegaufbauten, im Allgemeinen auch als Zwischenaufbau beschrieben. Dieser abgewinkelte Aufbau wird aktuell gerne bei Versorgungen nach dem MALO CLINIC®-Protokoll eingesetzt. Das Abutment besteht aus einem abgewinkelten (oft 17° oder 30°) Aufbau (Sekundärteil), auf den ein weiteres Abutment aufgeschraubt werden kann (Abb. 3).

Abb. 3: Variationen von abgewinkelten Abutments (v.li.n.re.): Abgewinkeltes Abutment, Abgewinkelter Steg/Brückenaufbau (oft Sekundärteil genannt), Titanbasis für angulierten Schraubenkanal mit Krone.

Bei Abutments oder Kronen und Brücken mit angulierten (abgewinkelten) Schraubenkanälen (Angulated Screw Channel) ist die Gradzahl der Angulation des Schraubenkanals je nach Implantatsystem unterschiedlich. Durch die Angulation zwischen Schraubenkanal und Implantatachse entsteht ein Winkelknick. Grundvoraussetzung für die Angulation ist eine spezielle Schraube und ein dafür vorgesehener Schraubendreher (Abb. 4). Schraubenkopf und Schraubendreher mit Kugelkopf müssen für den Winkel der Angulation spezielle Freiheiten aufweisen, um eine zuverlässige Kraftübertragung des benötigten Eindrehmoments zu gewährleisten (Abb. 5). Zusätzlich zur Schraube und zum Schraubendreher muss das Abutment (z. B. die Titanklebebasis) eine spezielle Aussparung aufweisen, um den Winkel des Schraubendrehers einzustellen (Abb. 6 und 7). Zahlreiche Implantathersteller bieten Lösungen mit unterschiedlichen Angulationen für verschiedene Implantatsysteme an.

Abb. 4: Vergleich der Schraubendreher für abgewinkelte oder gerade (Standard) Schraubenkanäle.

Abb. 5: Schraubenkopf und Kugelkopf des Schraubendrehers müssen aufeinander abgestimmt sein. Die Schraube besitzt einen nach innen abgesenkten Rand, der für die Freiheitsgrade des Kugelkopfes (Schraubendreher) wichtig ist. Die rechte Abbildung zeigt abgewinkelte Systemkomponenten unterschiedliche Anbieter.

Beispielhaft eine Auswahl an abgewinkelten Schraubenkanal-Lösungen:

Abb. 6: Der Winkel zwischen Implantat-Achse und der abgewinkelten Schraubendreher-Position kann variiert werden.

Abb. 7: Der Knick zwischen Implantatachse (Schraubenachse) und Schraubenkanal lässt eine Insertion der Schraube nach dem Verkleben oftmals nicht zu. Die Insertionsmöglichkeit der Schraube hängt einerseits von der Stärke des Winkelknickes und andererseits von dem Durchmesser der Schraube in Bezug auf den Kanaldurchmesser ab.

In der Literatur (Pubmed) sind erste Beiträge über angulierte Schraubenkanäle ab 2012 (Park et al, Laudensack et al, Gjelvold et al) zu finden [1, 2, 3]. Die Vorteile, den Schraubenkanal abzuwinkeln, liegen wie bereits ausgeführt auf der Hand. Anitua et al und Friberg et al stellten keinen statistischen Unterschied in Bezug auf Implantatverlust oder Knochenabbau am Implantat zwischen angulierten und geraden Schraubenkanälen fest [4, 5]. Wichtiges Thema in der aktuellen Literatur ist die Kraftübertragung des Schraubendrehers auf den Schraubenkopf in Bezug auf das Drehmoment des Implantatsystems. Hu et al zeigte den Einfluss der Kraftübertragung des Eindrehmoments auf die Schraube bei unterschiedlichen Angulationen von Schraubenkanälen bei 0°, 10° und 20° auf [6]. In einer Untersuchung verschiedener Abutment-Systeme mit unterschiedlicher Schraubenkanal-Angulation zeigte Swamidass et al keinen signifikanten Unterschied zwischen der 0°- und der 20°-Gruppe eines Implantatsystems. Jedoch wurden Drehmoment-Unterschiede bei Implantatsystemen mit niedrigerem Eindrehmoment festgestellt [7].  Bei einer Vergleichsstudie von Opler et al konnte in Bezug auf den Drehmomentverlust von angulierten (ASC=Angulated Screw Channal) und geraden (SCR = Screw Retained Crowns) Schraubenkanälen der Einfluss der Schraubenangulation aufgezeigt werden. Dieser zeigte Einfluss in Bezug auf das Drehmoment des Schraubenkopfes bei 0° bis 15° zeigte keinen signifikanten Unterschied. Jedoch wurde ein verringertes Drehmoment bei einer Schraubenangulation von 25° und 28° festgestellt.

Zusammengefasst: Winkeländerungen zwischen Schraubenkopf und Schraubendreher können das Schraubendrehmoment und die endgültige Vorspannung beeinflussen. Bei extremer Angulation über 15 Grad kann die Leistung der Schraube beeinträchtigt werden und in Bereichen mit hoher okklusaler Belastung klinisch relevant sein [8

Die verschiedenen Untersuchungen zeigen, wie wichtig es ist, die vom Hersteller validierten Schraubenkopf-Schraubendreher mit passenden Abutments zu verwenden. Werden Schraubenkanäle ohne spezielle Systeme abgewinkelt, kann die Kraftübertragung zwischen Schraubenkopf und Schraubendreher nicht optimal gewährleistet werden. Die Austrittsstelle der Schraubenöffnung sollte im Frontzahnbereich palatinal mit genügend Abstand (> 1 mm) zur Inzisalkante gestaltet werden. Im Seitenzahnbereich soll die Schraubenöffnung zentral in der Kaufläche angebracht werden. Je geringer die Angulation des Schraubenkanals ausfällt, umso besser ist die Kraftübertragung des Schraubendrehers auf den Schraubenkopf (Abb. 8 und 9). Bei starker Abwinkelung des Schraubenkanals muss die Original-Schraube vor der Verklebung mit der Ti-Basis eingebracht werden. Der Knick zwischen Implantatachse (Schraubenachse) und Schraubenkanal lässt eine Insertion der Schraube nach dem Verkleben oftmals nicht zu. Die Insertionsmöglichkeit der Schraube hängt einerseits von dem Winkelknick und andererseits von dem Durchmesser der Schraube in Bezug auf den Kanaldurchmesser ab. Leider bieten noch nicht alle Implantatsysteme spezielle Komponenten für die Angulation von Schraubenkanälen an. Diese Einschränkung ist bei der optimalen Positionierung von okklusalen Schraubenöffnungen eine prothetische Limitation.

Abb. 8: Bei starker Winkelung des Schraubenkanals muss die Originalschraube vor der Verklebung mit der Ti-Basis eingebracht werden. Der Schraubenkanal muss zirkulär aus Gerüstmaterial (bei Vollkeramik: Lithiumsilikat oder Zirkonoxid) bestehen.

Abb. 9: Unsichtbar … ein abgewinkelter Schraubenkanal lässt sich nach der Anfertigung oftmals schwer erkennen. Hier ist Teamwork gefragt, damit bei der Insertion der prothetischen Restauration nicht der falsche Schraubendreher benutzt wird.

Implantatprothetik (Teil 2) lesen:

Literatur:

[1] Park JI, Yoon TH. A three-dimensional image-superimposition CAD/CAM technique to record the position and angulation of the implant abutment screw access channel. J Prosthet Dent. 2013 Jan;109(1):57-60

[2] Lautensack J, Weber V, Wolfart S. Template to determine the position and angulation of the abutment screw channel for implant-supported, cement-retained restorations. J Prosthet Dent. 2012 Feb;107(2):134-6

[3] Gjelvold B, Sohrabi MM, Chrcanovic BR. Angled Screw Channel: An Alternative to Cemented Single-Implant Restorations–Three Clinical Examples. Int J Prosthodont. 2016 Jan-Feb;29(1):74-6

[4] Anitua E, Fernández-de-Retana S, Alkhraisat MH. Survival and Marginal Bone Loss of Dental Implants Supporting Cad-Cam Angled Channel Restorations: A Split-Mouth Retrospective Study. Eur J Dent. 2020 Mar;14(2):194-199. doi: 10.1055/s-0040-1709895. Epub 2020 May 24.

[5] Friberg B, Ahmadzai M. A prospective study on single tooth reconstructions using parallel walled implants with internal connection (NobelParallel CC) and abutments with angulated screw channels (ASC). Clin Implant Dent Relat Res. 2019 Apr;21(2):226-231.

[6] Hu E, Petrich A, Imamura G, Hamlin C. Effect of Screw Channel Angulation on Reverse Torque Values of Dental Implant Abutment Screws. J Prosthodont. 2019 Dec;28(9):969-972

[7] Swamidass RS, Kan JYK, Kattadiyil MT, Goodacre CJ, Lozada J. Abutment screw torque changes with straight and angled screw-access channels. J Prosthet Dent. 2021 Apr;125(4):675-681

[8] Opler R, Wadhwani C, Chung KH. The effect of screwdriver angle variation on the off-axis implant abutment system and hexalobular screw. J Prosthet Dent. 2020 Mar;123(3):524-528.

SAVE THE DATE

Montag, 20. November 2024
16:00 bis 18:00 Uhr

TEAM-Talk

für Zahnmedizin, Zahntechnik, Dentaltechnologie, Wissenschaft