Lisa Marie Schönhoff, Annett Kieschnick, Nina Lümkemann, Bogna Stawarczyk
Beim Prüfen dentaler Werkstoffe im Labor (in-vitro) werden die Belastungen auf Restaurationsmaterialien in verkürzter Zeit simuliert. Ziel ist es, Aussagen dazu treffen zu können, ob sich Materialien für den Einsatz im Patientenmund eignen. Doch wie hoch sind die Kräfte im Mund? Spielen zusätzlich zur Kraft weitere Faktoren eine Rolle? Wie werden diese Faktoren in der Werkstoffprüfung „imitiert“?
Die dentale Werkstoffkunde ist für Zahnarzt und Zahntechniker bzw. den langfristigen Therapieerfolg unentbehrlich. Um Materialien auf ihre klinische Einsatzfähigkeit zu testen, gibt es verschiedene Prüfmethoden. Zu unterscheiden sind in-vivo-Untersuchungen (klinisch) von in-vitro-Untersuchungen (laborseitig). Grundsätzlich erlauben moderne Prüfverfahren realistische Prognosen über das Verhalten dentaler Materialien im Mund. Erschwert werden die Prüfungen bzw. der Vergleich der Ergebnisse aufgrund der Vielzahl an Einflüssen im Mund sowie der unterschiedlichen Prüfmethoden.
Unterschiede in der Kaukraft
Die Kaukraft des Menschen ist von vielen Faktoren abhängig. Zusätzlich zu Geschlecht und Alter – junge Männer kauen mit höheren Kräften als ältere Frauen – spielen der Zahnstatus und die Art der Nahrung eine Rolle. Betrachtet man den Zahnstatus, nimmt die Kaukraft mit abnehmender Anzahl von Zähnen ab. Auch die Art der prothetischen Versorgung spielt eine Rolle. Mit festsitzendem Zahnersatz wird kräftiger zugebissen als mit herausnehmbaren Prothesen.
Einflüsse auf Kaukraft und Zähne
Großen Einfluss auf die Kaukraft hat auch die Beschaffenheit respektive die Konsistenz der Nahrung. Beißen wir knusprige Chips, werden deutlich geringere Kräfte aufgebracht als beim Kauen von Weingummi. Hinzu kommt die Intention, die das Zubeißen hat. Sollen Speisen abgebissen, gekaut oder soll maximal zugebissen werden? Handelt es sich um Kräfte, die beim nächtlichen Zähneknirschen auftreten? Das Erheben all dieser Fakten wird mit unterschiedlichen Messapparaturen vorgenommen. Unter anderem dienen für das Messen Bissgabeln oder mit Kraftmessern versehene Brückengerüste. In Abhängigkeit von den verschiedenen Messprozesse ergibt sich eine breite Spanne an ermittelten Kaukräften.
Zusätzlich zur Kaukraft variieren zudem Kaufrequenz und Kauzyklenzahl. Beide Faktoren sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich und tagesabhängig. Zudem wirken im Mund neben der vertikalen Kraft horizontale Kräfte (Mahlbewegungen). Und letztlich resultieren aus der Nahrungsaufnahme physikalische (z. B. thermisch) und chemische Einflüsse auf Zähne bzw. Restaurationen.
Aussagekräftige Ergebnisse: in-vivo und in-vitro-Studien
Allein diese Gegenüberstellungen zeigen,
- wie unterschiedlich prothetische Restaurationen in-vivo belastet werden und
- wie stark bei in-vitro-Prüfungen dentaler Werkstoffe die Tatsache ins Gewicht fällt, dass der Mensch ein Individuum ist.
Restaurationsmaterialien, welche bei dem einem Patienten sehr gute Überlebensraten zeigen, müssen bei einem anderen Patienten nicht zu gleich guten Ergebnissen führen. Dies verdeutlicht, dass bei in-vivo-Studien (klinische Studien) hohes Augenmerk auf die Patientenauswahl gelegt werden muss. Außerdem sind klinische Studien nur aussagekräftig, wenn eine ausreichende Anzahl an Patienten einbezogen worden ist. Um die Power der Studie (Wie viele Patienten sind für eine signifikante Aussage notwendig?) sorgfältig bestimmen zu können, müssen die Wissenschaftler vor Beginn der Studie eng mit Statistikern zusammenarbeiten. Im Vergleich dazu sind in-vitro-Studien (Labor) einfacher und schneller vorzunehmen, da die Bedingungen standardisiert werden können. Nichtsdestotrotz sollte auch hier ein ausreichender Prüfkörperumfang berücksichtigt werden, um aussagekräftige Ergebnisse zu gewährleisten.
Statische und dynamische Prüfungen in der Werkstoffkunde
Die Vielzahl an diversen Faktoren ergibt im Mund einen Komplex an Einflüssen, die bei Werkstoffprüfungen im Labor möglichst realistisch nachzuahmen sind. Derzeit beruhen die meisten genormten Untersuchungen für dentale Werkstoffe – bis auf Ausnahmen – auf statischen Prüfungen. Dynamische Untersuchungen (in Anlehnung an die dynamische Kaubewegung) werden leider immer noch selten vorgenommen. Problematisch bei dynamischen Tests ist, dass sich hierbei unterschiedlicher Parameter bedient wird. Das führt dazu, dass die Vergleichbarkeit zwischen einzelnen Untersuchungen nicht oder nur bedingt gewährleistet ist.
Es gibt bereits eine Vielzahl an Prüfgeräten, mit denen dentale Werkstoffe in-vitro unter realen klinischen Einflüssen geprüft werden können. Die Entwicklungen reichen von Geräten mit reiner vertikaler Belastung mit unterschiedlicher Kraft (Dauerlastmaschinen) über solche, mit denen zusätzlich horizontale Bewegungen imitiert werden, bis hin zu Geräten, die ergänzend die Lagerung in einem Medium – teilweise mit Temperaturwechsel – ermöglichen (Kausimulatoren). Aufgrund verschiedener frei wählbarer Parameter, führen die unterschiedlichen Prüfgeräte momentan zu unterschiedlichen Aussagen von den Werkstoffen. So werden zum einen keine Einflüsse der Zyklenzahlen oder aufgebrachten Kräfte auf das Versagen beobachtet, während zum anderen höhere Kräfte bei einer zyklischen Belastung zu einem schnelleren Versagen führen.
Vergleichbarkeit der Ergebnisse
Aus der Bandbreite an Prüfmethoden ergeben sich in-vitro-Untersuchungen mit unterschiedlichen Parametern. Dies erschwert die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Aktuell wird daher eine Norm zur dynamischen Prüfung dentaler Werkstoffe diskutiert. So soll eine Basis für den Vergleich von Untersuchungsergebnissen geschaffen werden. Hinweis: Häufig werden von Herstellern auch statische Prüfungen mit unterschiedlichen Methoden vorgenommen, woraus teilweise irreführende Daten bzw. Vergleiche resultieren.
Fazit für den Praktiker
Für den Anwender ist es nach derzeitigen Bedingungen ratsam, Materialvergleiche aus dynamischen Tests nur innerhalb einer wissenschaftlichen Untersuchung zu betrachten. Ein verbindlicher Vergleich resultiert nur aus Werten, die unter denselben Bedingungen im Werkstoffkunde-Labor erhoben worden sind.