Optimierung der Kantenstabilität von Lithiumsilikat

Lithiumsilikat

Lithiumsilikat und der Einfluss von Oberflächenbearbeitung, Brandführung sowie weiteren Parametern. Für die Fertigung von Restaurationen zur Versorgung von Zahnhartsubstanzdefekten steht eine Vielzahl moderner Werkstoffe zur Verfügung. Im Bereich des festsitzenden Zahnersatzeshaben sich vollkeramische Restaurationen etabliert. Dieser Trend mag in der hochwertigen Ästhetik begründet liegen und auf den soliden werkstoffkundlichen Eigenschaften. 

Aus der Werkstoffklasse an Dentalkeramiken sollen nachfolgend Lithiumsilikat und dessen mechanische Eigenschaften abhängig vom Verarbeitungsprotokoll beleuchtet werden. Lithiumsilikat überzeugt durch ausgeprägte Transluzenz und opaleszierenden Eigenschaften, wodurch sie sich besonders für ästhetisch anspruchsvolle Versorgungen im Frontzahnbereich eignet.

Der Einfluss der Oberflächenbearbeitung auf die mechanischen Eigenschaften

Für die optimale Oberflächenqualität und ideale mechanische Parameter gibt es verschiedene Nachbearbeitungsmethoden. Die Festigkeit keramischer Werkstoffe ist von deren Oberflächengüte abhängig. Oberflächliche Defekte wie Poren oder Mikrorisse fungieren als Rissinitiatoren und schwächen das Materialgefüge. Zur Optimierung der Oberfläche stehen primär zwei Verfahren zur Verfügung:

  1. Politur: Die mechanische Glättung der Oberfläche führt zur Elimination oberflächlicher Defekte und somit zu einer Verbesserung der Materialfestigkeit.
  2. Glasurbrand: Die Applikation einer Glasurmasse mit anschließendem Brand füllt nicht nur Oberflächenirregularitäten auf, sondern induziert zudem kompressive Eigenspannungen an der Oberfläche. Dieser Effekt der Oberflächenvergütung trägt maßgeblich zur Festigkeitssteigerung bei.

Definition: Edge Chipping Resistance (ECR) misst die Kantenstabilität von Zahnersatz. Ein hoher Wert bedeutet, dass die Ränder einer Krone robust sind und bei Kaubelastung nicht leicht abplatzen.

Die Untersuchung

Bislang existieren jedoch wenige systematische Untersuchungen über den kombinierten Einfluss von Oberflächenbearbeitung, unterschiedlichen Brandführungen, Materialschichtstärke sowie künstlicher Alterung auf die Edge Chipping Resistance (ECR). Das Ziel der vorliegenden Untersuchung war es daher, diese Faktoren für vier CAD/CAM-basierte Lithiumsilikatkeramiken zu evaluieren.


Material und Methoden

Es wurden 288 Prüfkörper aus vier CAD/CAM-Lithiumsilikatkeramiken hergestellt (Abbildungen 1 und 2):

  • Amber Mill (Lithiumdisilikat); HASS Bio, Korea
  • Amber Mill Direct (Lithiumdisilikat); HASS Bio, Korea
  • CEREC Tessera (Lithiumdi-Aluminasilikat); Dentsply Sirona, Deutschland
  • IPS e.max CAD (Lithiumdisilikat); Ivoclar AG, Liechtenstein

Versuchsaufbau

Der Versuchsaufbau gliederte sich in die folgenden, klar definierten Phasen:

1. Prüfkörperherstellung

Die Herstellung erfolgte durch das Schneiden der Keramikblöcke in Plättchen (Secotom-50; Struers, Ballerup, Denmark), welche anschließend durch Beschleifen in einer Poliermaschine (Abramin; Struers) auf die exakte Dicke (1,5 mm, 2 mm und 3 mm) gebracht wurden.

2. Oberflächenkonditionierung und Brandführung

Nach der Reinigung im Ultraschallbad (L&R Transistor Ultrasonic T-14; L&R, New Jersey, USA) erfolgte die Oberflächenbehandlung in Form von:

  • Politur (Diapro R17DPmf, Diapro R17DP; EVE Ernst Vetter, Keltern, Germany),
  • Glasur (IPS e.max CAD Crystall./Glaze Spray, Ivoclar, Schaan, Liechtenstein; Universal Spray Glaze Fluo, Dentsply Sirona, Konstanz, Germany) oder
  • keiner Behandlung.

Anschließend wurden die glasierten bzw. unbehandelten Prüfkörper ihrem gruppenspezifischen Brandprotokoll (Austromat 654 press-i-dent, Dekema, Freilassing, Germany; Ivoclar Programat EP 5010; Ivoclar) zugeführt.

3. ECR-Messung und künstliche Alterung (Longitudinales Design)

Die Messung des Ermüdungsverhaltens unter simulierter in-vivo Belastung erfolgte in drei Schritten:

  • Initiale Messung: Die erste Messung der Edge Chipping Resistance (ECR) wurde mittels einer Universalprüfmaschine (ZHU 0,2; Zwick Roell) durchgeführt.
  • Thermische Alterung und zweite Messung: Es folgte eine Alterung im Thermocycler (Thermocycler TCS-10; SD Mechatronik, Feldkirchen-Westerham, Germany; 10.000 Zyklen, 5° C/55° C, 20 Sek., entsprechend einem Jahr klinischer Tragedauer), woraufhin die zweite ECR-Messung stattfand.
  • Hydrothermale Alterung und dritte Messung: Abschließend wurde ein hydrothermaler Alterungszyklus im Autoklav (Euroklav 29-S; MELAG Medizintechnik, Berlin, Germany; 134° C, 2 Std., 0,2 MPa; entsprechend zusätzlicher 6-8 Jahre klinischer Belastung) durchgeführt, gefolgt von der dritten ECR-Messung.

4. Statistische Auswertung

Die erhobenen Daten wurden statistisch mittels IBM SPSS Statistics v29.0 unter Zuhilfenahme des Kruskal-Wallis-, Mann-Whitney U-, Friedmann- und Wilcoxon-Tests ausgewertet (α = 0,05).

Ergebnisse

Alle untersuchten Materialien wiesen eine für den klinischen Einsatz überzeugende Edge Chipping Resistance (ECR) auf (Abbildung 5). Die zentralen Einflussfaktoren zeigten sich wie folgt:

  • Einfluss der künstlichen Alterung: Die künstliche Alterung führte oftmals zu einer Reduktion der ECR. Der Wert war jedoch auch nach durchlaufenem Alterungsprotokoll als ausreichend hoch für die klinische Verwendung der Materialien einzustufen.
  • Einfluss von Brandführung und Glasur: Unter allen untersuchten Materialien und Verarbeitungsprotokollen zeigten die glasierten und entsprechend dem ‚medium opacity‘- Brennprotokolls gebrannten Prüfkörper die höchsten ECR-Werte. Dies ist auf eine vermehrte Ausbildung von Quervernetzungen zwischen den Lithiumdisilikatkristallen durch die höhere Brandtemperatur zurückzuführen, was eine höhere Festigkeit bei gleichzeitig reduzierter Transluzenz bedingt.
  • Vergleich der Oberflächenbehandlungen: Innerhalb einer Materialgruppe zeigten die glasierten Prüfkörper eine jeweils höhere ECR als die polierten bzw. unbehandelten Prüfkörper.
  • Einfluss der Prüfkörperdicke: Es konnte nachgewiesen werden, dass eine Variation der Prüfkörperdicke größtenteils keinen Einfluss auf die ECR der Prüfkörper hatte.
  • Einfluss des Belastungspunktes: Die Variation des Abstands zwischen Belastungspunkt und Kante (0,25 mm vs. 0,3 mm) bewirkte keine Veränderung der ECR. Diese Erkenntnis steht im Gegensatz zum allgemeinen Konsens der Literatur, was im geringen Unterschied der gewählten Distanzen begründet liegen mag.
Abbildung 5: ECR-Werte der untersuchten Gruppen

Schlussfolgerung

Die indikationsspezifische Auswahl des Restaurationsmaterials sowie das nachfolgende Verarbeitungsprotokoll haben entscheidende Konsequenzen für den langfristigen Erfolg und das Überleben des Zahnersatzes im Mund. Die hier vorgestellte Untersuchung hat sich mit dem Einfluss verschiedener im Rahmen des Fertigungsprozesses einer Restauration relevanter Faktoren und deren Einfluss auf die ECR der Materialien befasst. Zur Annäherung an die reale, klinische Belastung durchliefen die Prüfkörper sowohl thermale als auch hydrothermale Alterungszyklen.

Dem klinischen Anwender sind infolge der hier thematisierten Ergebnisse folgende praktische ‚Take-Aways‘ mitzugeben:

  1. Glasur als Oberflächenbehandlung der Wahl: Die Glasur ist als Oberflächenbehandlung der Wahl anzusehen.
  2. Abwägung von Transluzenzstufen und mechanischen Eigenschaften: Insbesondere bei der Herstellung von Versorgungen, die außerhalb des ästhetisch relevanten Bereichs liegen, lohnt sich die Abwägung einer geringeren Transluzenzstufe zugunsten höherer mechanischer Eigenschaften.
  3. Empfehlung für dünnere Schichtstärken: Dünnere Schichtstärken des Restaurationsmaterials und damit eine entsprechend defektangepasste Präparation zur Schonung gesunder Zahnhartsubstanz sind empfehlenswert, ohne dass dadurch mit einer Einbuße an ECR der Restauration gerechnet werden muss.

Untersuchung

Die hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf der folgenden Studie: Irlinger C, Stawarczyk B, Meinen J, Edelhoff D, Mayinger F. Impact of polishing, glazing and firing, restoration thickness, point of loading and aging on the edge chipping resistance of lithium silicate ceramics. J. Mech. Behav. Biomed. Mater. 2025;170:107106.

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